Online-Seminare kosten mehr … Energie (WissensWert Blog Carnival Nr. 10)

Grafikloge WissensWertIn der Ausgabe 10 des WissensWert Blog Carnival, die bis Feb. 2010 für Beiträge offen ist, wird gefragt, ob Online-Seminare bzw. Online-Konferenzen eigentlich funktionieren und welche Erfahrungen man damit gemacht hat.

Da kann ich allerdings mitreden. In den letzten Wochen machte ich so viele Online-Seminare und Online-Meetings wie nie zuvor. So abrupt mehr als früher, dass ich mich fragte: Wie kam es denn ausgerechnet jetzt dazu; schliesslich gibt es diese Werkzeuge (bei mir vor allem Adobe Connect) doch schon seit langem? Mein Nachdenken über diese Veränderung in meiner Arbeitspraxis bringt folgende Beweggründe zu Tage:

  • Die Usability-Barriere ist weg: Ich habe entdeckt, dass ein Web-Meeting bzw. Virtuelles Klassenzimmer ganz einfach und blitzschnell verfügbar ist. Bei unserem Diensteprovider Switch konnte ich einen eigenen „virtuellen Besprechungsraum“ einrichten, der immer offen ist, und für den ich meinen Teammitgliedern die weitestgehenden Rechte gegeben habe. Somit ist der „Virtuelle Besprechungsraum“ nur einen Klick entfernt, nämlich den Sekunden-Klick auf einen Weblink. Es ist genauso einfach, da hin zu kommen, wie auf eine Website, und den Link kann man jedem leicht und spontan kommunizieren, den man als Teilnehmer einladen möchte.
  • Das Nutzungsbedürfnis ist grösser: Die Leute haben weder Zeit noch Geld zu Reisen, wegen der Krise. Und Not macht bekanntlich erfinderisch bzw. kann eingefleischte Gewohnheiten wie Berge versetzen.
  • Die Akzeptanz von Online-Vorträgen aus Zuhörersicht ist höher: Eine wahre Begebenheit mag das belegen. Wie lehnen Sie eine Vortragsanfrage ab, ohne „Nein“ zu sagen? Ich bekam neulich eine Anfrage für einen 30 minütigen Vortrag in einer Stadt, wo mich die Anreise jeweils 8 Stunden gekostet hätte, mit so vielen Unterbrechungen, dass an ruhiges Arbeiten nicht zu denken gewesen wäre. Mein „Nein“ kommunizierte ich verkleidet als: „Ich könnte es höchstens als Online-Vortrag machen“. Die Anfrager sagten überraschend „JA“, und so habe ich dann einige Zeit später als an die Wand projeziertes Bild einem hochrangigen Präsenzpublikum präsentiert.
  • Ich habe unbekümmert „Ja“ gesagt: Und zwar zugesagt, an einer 2-tägigen Konferenz, die nur aus Webinaren bestand, mitzuwirken. Mein Beitrag war ein 1-stündiger Vortrag und ein 1-stündiges Interview, wobei jeweils ca. 15 Teilnehmer im virtuellen Konferenzraum waren – von den ursprünglich 25 Angemeldeten. Das ist ganz normal; auch ich bin bei den wenigsten Webinaren, zu denen ich mich ernsthaft angemeldet habe, dann tatsächlich dabei. Anderes ist dann meistens drängender und wichtiger – und es gibt ja die Aufzeichnungen, tröstet man sich dann.

Und was ist nach diesen dichten in-medias-res Erlebnissen mein Erfahrungsbericht? Lassen Sie mich erst mal Luft holen … .

Ich fühlte mich nach den Präsentationen, die ich als Vortragende gegeben habe, wie ausgesaugt, verlassen, ja sogar leicht wütend – was mich ziemlich verstört hat. Denn wenn ich Besprechungssituationen mit demselben Tool mache, finde ich das so natürlich wie Telefonkonferenzen, ja sobar viel besser und bin am Ender dieser Online-Meetings genauso fröhlich wie zuvor, und deshalb möchte ich die keinesfalls missen.

Nun, wie kann das so anders sein? Genauso wie für einem Präsenz-Auftritt wendet man als Vortragender in der Vorbereitung viel Energie auf, für den virtuellen Vortrag noch mehr als bei gewohnten Präsenzveranstaltungen. Denn der Ablauf muss sehr genau besprochen und abgestimmt werden. Die Unterlagen werden sicherheitshalber vorher ins System geladen und getestet. Es findet einige Tage vorher ein Techniktest statt, ob mit dem eigenen Computer alles passt. Dann ist da die Anspannung, ob alles klappt oder gar umsonst war. Und – ob Sie es glauben oder nicht – sogar der Impuls, sich ordentlich anzuziehen, geschminkt und frisiert zu sein, mit geradem Rücken am Schreibtisch zu sitzen ist da, auch wenn gar kein Videobild übertragen wird.

Dann noch die sich wie Kaugummi dehnenden Warteminuten, bis alle bereit sind und es los geht. Man redet, man stellt Fragen. Und trotz dieser bewussten Interaktion, trotz der Smileys und Handzeichen kommt es einem nach ca. 15 Minuten so vor als ob man in einer Isolationszelle Selbstgespräche führt. Wenn die Zuhörer gebannt und still konzentriert sind, wird man nervös und fragt „kann man mich noch hören?“ Das können sie natürlich, und so kommt es am Schluss auch noch zu einer angeregten Diskussion – denn durch das begleitende Chatten geht kein Gedanke verloren und man findet immer einen Anknüpfungspunkt; hier muss das „Eis“, dass jemand die erste Frage stellt, nicht gebrochen werden. Alle sagen Danke und freundlich-frohes auf Wiederhören. Wenn jeder aufgelegt hat, ist da Stille: NICHTS mehr. Ich finde mich nach erbrachter Leistung  aufgeputscht, in einem Erregungszustand wieder, den ich nicht abbauen kann. Im Präsenzkontext kommt da noch etwas, ein Ausklang. Für die Online-Seminar-Situation drängt sich mir das Bild eines Stiers auf, der zur künstlichen Besamung geführt wird und sich an einer Attrappe verausgabt. Der fühlt sich danach vermutlich ähnlich irritiert: Betrug denkt er, nein fühlt er!

Aber dieser Gefühlszustand  ist schnell vorbei, am Schreibtisch, denn da geht es weiter mit der Arbeit. Keine Reise liegt vor mir, es gibt kein Nachspiel zum Vortrag. Für die willkommen gesparte Reisezeit bezahle ich mit einer Arbeitsverdichtung.

Fazit: Wenn mich wieder jemand anfragt, eine Webinar-Präsentation zu geben, weiss ich schon, dass erwartet wird, dass es kein oder nur ein sehr geringes Honorar wert ist  (der Referent muss ja nicht Reisen, das lässt sich ja mal so zwischenrein flicken). Ich werde jedoch sagen: Online-Seminare kosten mich mehr Energie, die Energiebilanz ist negativ, weil ich in der Online-Situation weniger Energie zurückbekomme als in Präsenz. Online-Seminare kosten deshalb auch mehr Honorar als Präsenzvorträge. Somit werde ich nie mehr Grund zu solchen Jammer-Beiträgen haben, denn alles ist eine Frage der richtigen Dosis und damit wird sich das Zuviel an Online-Vorträgen von selbst erledigen.

2 Kommentare zu diesem Artikel


  1. lutzland.blog » Bookmarks for Dezember 11th through Dezember 14th schrieb:

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  2. lutzland.blog » Bookmarks for Dezember 14th through Dezember 19th schrieb:

    […] Online-Seminare kosten mehr … Energie – Ich fühlte mich nach den Präsentationen, die ich als Vortragende gegeben habe, wie ausgesaugt, verlassen, ja sogar leicht wütend – was mich ziemlich verstört hat. Denn wenn ich Besprechungssituationen mit demselben Tool mache, finde ich das so natürlich wie Telefonkonferenzen, ja sobar viel besser und bin am Ender dieser Online-Meetings genauso fröhlich wie zuvor, und deshalb möchte ich die keinesfalls missen. […]

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