Web-2.0-Geschäftsmodell: Es braucht eine neue Denkweise: Erfolgsfaktoren und Tipps

Die Serie von Kurz-Videos zu den O’Reillyschen Web-2.0-Prinzipien schliesst mit diesem neunten Beitrag. Im Gespräch mit Jörg Eugster, Geschäftsführer der OPAG Online Promotion AG , ist von Erfolgsfaktoren der Web-2.0-Geschäftsmodelle, dem Nichtverstehen des Internet, dem Umdenken-Müssen und vor allem von Herzblut und Begeisterung beim Internet-Unternehmertum die Rede.

Einige Kernaussagen, grösstenteils wortwörtlich, sind diese:

  • Über unser Webcam-Portal (SwissWebcams, Webcams.travel) hiess es «Das ist eine gute Idee, aber das gibt es ja schon! » Die Leute haben nicht begriffen, dass man etwas, das es schon gibt, einfach noch besser und anders machen kann. … Wir haben einen anderen Mehrwert geschaffen für die Benutzer, für verschiedene Situationen.
  • Wir wurden ja belächelt, als wir mit diesem Webcam-Portal begonnen haben. … Es hat niemand ganz verstanden, was das soll. … Wenn es zu viele Leute verstehen, dann ist es möglicherweise eben zu einfach, dann kann man auch zu einfach kopiert werden.
  • Auch wir hatten zu Beginn noch kein Geschäftsmodell, einfach die Begeisterung für etwas. … Die Empfehlung für Internet-Unternehmer ist: Wenn, dann mit Herzblut machen; dann das lange genug verfolgen – nicht zu früh aufgeben – und irgendwann wird es dann zu einem Erfolg.
  • Als die Internet-Blase geplatzt ist, da haben die Verleger hämisch gegrinst und gesagt: «Ja wir wussten, es ist halt doch dasselbe Geschäftsmodell.» Die Leute denken noch in der alten Welt. Es ist eben nicht dasselbe, es braucht eine neue Denkweise.
  • Man muss zuerst Relevanz, Traffic aufbauen. Erst dann kann man Geschäfte damit machen. Eugster kennt  Marketing-Leute, die übertrugen das verlegerische Modell auf eine Website und verkauften von Anfang an Einträge – und hatten dann das Problem, dass Werbebuchungen nicht verlängert wurden.
  • Auch das Web 2.0 verstehen viele nicht. Eugster findet, dass manche Nachfrage bei ihm, wie man das Web 2.0 für sich nutzen könnte, nicht weit weg ist von der Formulierung: „Wo kann ich mir das bestellen und herunterladen?“
  • Zu den Erfolgsfaktoren von Web-2.0-Geschäftsmodellen: Die erfolgreichen Modelle beginnen nicht unbedingt mit einer klaren Strategie und detaillierten Businessplan, sie entstehen durch einen Geistesblitz. Dann mache ich es mit Begeisterung, ohne dass ich schon die Dollarnoten sehe – so z.B. auch anfangs tel.search.ch. Gerade das ist der grosse Unterschied. Man muss erst mal schauen was passiert.
  • Wenn Eugster mit PR-Fachleuten über Blogs gesprochen hat, machte er oft die Erfahrung, dass man ihm entgegenhält: «Eine Medienmitteilung hat einen gewissen Standard zu erfüllen, das ist Berufsethos.» Da kommt immer dieser Qualitätsanspruch – auch für Journalisten. Auf der anderen Seite haben wir Leute, die sind auch nicht dumm. Wir finden die „kollektive Intelligenz“ partiell in Blogs drin. Ein Blogbeitrag ist etwas Individuelles, persönliche Erfahrungen. Jetzt ist da die Frage: Was ist besser? Ich sage in meinen Vorträgen immer: „Wer hat recht? – Nur der Kunde hat recht!“

Blick zurück und voraus: Pragmatisch und schrittweise von 1.0 zu 2.0

In der Schlussrunde dieer Vlog-Serie zu den Web-2.0-Prinzipien erlaube ich mir, explizit danach zu fragen, was Fehleinschätzungen waren. Zum einen was man rückgängig machen musste, weil es nicht funktioniert hat. Zum anderen Fehleinschätzungen in umgekehrter Richtung: So hören wir, wo Überzeugungsarbeit notwendig war etwas zu machen, das sich zwar klar bewährt hat, an dessen Nutzen einige aber anfangs nicht recht glauben wollten.

Zu beiden Sichten gibt Jörg Eugster offen Auskunft.

  • Als wir begonnen hatten dachten wir, Affiliate Marketing (Performance Marketing) wäre das Geschäftsmodell. Es ist natürlich weit verbreitet, nur haben wir damit nichts verdient. Da muss ich sagen, da bringt Google AdSense unter dem Strich mehr.
  • Wir machen andere Dinge, die viel erfolgreicher sind, die uns helfen, Traffic aufzubauen.
  • Zu den Mitmachen-2.0 Glaubenssätzen meint Eugster: Wir haben ganz pragmatisch gesagt, wir fügen ein paar interaktive Elemente hinzu (Bewertungen, Kommentare) und sehen wie sich das entwickelt. Wir hatten nicht erwartet, dass das der Hammer wird.
  • Wo ich meine Kollegen überzeugen konnte war, dass wir einen Blog eingerichtet haben (Topin.travel und  Webcams.travel). Dort werden kurze Meldungen geschrieben, z.B.:
    • Wenn wir etwas Neues auf den Websites aufschalten,
    • wenn wir wieder eine grössere Anzahl neuer Mitglieder haben,
    • und wir nutzen den Blog auch für FAQs.
  • Ich kann nicht jede kleine Information als Pressemitteilung herausgeben. … Wenn Journalisten uns anschreiben, dann verweise ich auch auf den Blog als Quelle.
  • Die Verlinkung ist ausserdem ein Nutzen für das Suchmaschinenmarketing.
  • Die Weitergabe des Content (hier der Webcam-Aufnahmen) wird nicht empfunden wie die Copyright-geschützte Verwertung von Inhalten. Es ist im Interesse der Webcam-Betreiber, dass möglichst viele sie sehen; das ist ein Marketing-Instrument. Ausserdem gibt es die Backlinks zur Quelle.

Jörg Eugster, Geschäftsführer der OPAG Online Promotion AG

Long Tail: Das Geschäftsmodell ist eine Nische

In dieser Folge erklärt Jörg Eugster, Geschäftsführer der OPAG Online Promotion AG, am Beispiel des Buch-Vertriebs, was mit „Long Tail“ bei Geschäftsmodellen rund um digitale Produkte gemeint ist. Analog kommt bei Webcams.travel der „Long-Tail“ ganz stark zum Tragen.

  • Ein grosser Teil des Traffic kommt Dank dieses „Long Tail“. Webcams als Suchbegriff ist kein Blockbuster.
  • Der „Long Tail“ ist so gross, wir können theoretisch Millionen Webcams bei uns aufnehmen – nicht nur die relevantesten; das gibt bei digitalen Produkten – wie einem Webcam-Bild – kein Problem. Eine Buchhandlung mit physischen Produkten – im Gegensatz dazu, kann praktisch nur die Umsatzträger im Verkaufsraum haben.

Wir kommen auch auf die Imitierbarkeit des Geschäftsmodells zu sprechen, und ob es eine Rolle gespielt hat, erstes oder nicht unbedingt erstes Webcam-Portal gewesen zu sein (First Mover bzw. Early Mover Advantage).

  • Die Bedrohung durch Kopieren bzw. Imitieren des Geschäftsmodells schätzt Eugster gering ein: Er sagt: Es ist schwer, zusätzlich Nutzen zu schaffen. Die Frage ist ja: «Geht es billiger als gratis?» Wir haben viele Partner – wenn man diesen Webcams anbietet, dann sagen die doch: «Die haben wir ja schon.»
    Auch ist unser Geschäftsmodell eine Nische, nicht wie Musik-Downloads, wo man Millionen verdienen kann.
  • Das Geschäftsmodell wurde damals bei einem Wettbewerb von der Jury nicht verstanden, meint Eugster. Es hiess: «Webcam-Portale gibt es doch schon.» Man muss es aber anders tun und besser tun: Unser USP (Alleinstellungsmerkmal – Unique Selling Proposition) ist, dass die Webcams auf Google Earth und Google Maps zu sehen sind (Web 2.0 Mash-up).
  • Es ist auch wichtig, dass man breit abgestützt ist; das macht die Verbreitung aus. Die API z.B. kann jeder nutzen (u.a. für mobile Apps).

Openness and Architecture of Participation: Ich gebe dir, und du gibst mir

In dieser Episode zu den Web-2.0-Prinzipien geht es um die Beiträge der Internet-Nutzer zum Geschäftsmodell; dies wird in Web-2.0-Terminologie auch Co-Creation oder Peer Production genannt. Diese Nutzerbeiträge machen ja das Web 2.0 erst zum sogenannten Mitmach-Web. In Verbindung damit kommen auch die Facetten von „Openness“, Open Content und Open Source, zur Sprache.

Wie in  Webcams.travel die „Architektur für Partizipation“ gestaltet ist, erläutert Jörg Eugster, Geschäftsführer der OPAG Online Promotion AG, und erzählt viele Beispiele für Erlebnisse mit Usern.

  • Unsere Plattformen sind alle auf Basis von Open Source entwickelt. Wir haben z.B. PHP und mySQL im Einsatz.
  • Beim Content haben wir auch den offenen Ansatz: Jeder – mit kleiner Einschränkung (d.h. es sollten touristisch relevante Webcams sein) – darf seine Webcam bei uns anmelden, und wir geben diese auch weiter an andere Portale.
  • Jede aufzuschaltende Webcam wird geprüft; man möchte ja ausschliessen, dass unseriöse Inhalte platziert werden. Die Gemeinschaft der Nutzer hilft im Qualitätsprozess mit; Besucher der Website können mit einem Klick z.B. anstössige Webcams melden, diese werden dann sofort deaktiviert.
  • Zum Thema aktiv Mitmachen, d.h. Inhalte beitragen, sagt Eugster: Man muss unterscheiden zwischen Bewerten und Kommentare Schreiben. Das Bewerten – mit dem Sternesystem – das wird sehr wenig gemacht. Die Kommentare zu Webcams, das ist im Bereich von wenigen Prozentpunkten. Die Webcam des Eiffelturms hat viele Bemerkungen in verschiedenen Sprachen.
    Wenn sich jemand z.B. damit auseinandersetzt, dass die Übersetzung der Website nicht gut ist, das ist im Promille-Bereich oder noch weniger – aber die haben dann ein sehr hohes Involvement in unsere Seite. Wir hatten einmal jemanden der sagte, die Isländischen Webcams wären alle am völlig falschen Ort platziert; der hat sich die Mühe gemacht, uns zu sämtlichen Kameras mitzuteilen, wo genau der Standort ist. Diese Feedbacks, die wir bekommen von den Leuten, das macht natürlich sehr viel Spass.
  • Das Motiv für Leute, sich ohne Bezahlung zu engagieren, nennt Jörg Eugster – an einem Beispiel eines ganz jungen Übersetzers –  „Streicheleinheiten“: Einmal meldete sich jemand und sagte, die Seite auf Finnisch gäbe es nicht, und er würde das übersetzen, was er auch im Rekordtempo gemacht hat. Dann habe ich beim Chat herausgefunden, das ist ein 11-jähriger Junge in Finnland. Jeder Übersetzer wird von uns genannt, auf der Website heisst es: „Wurde übersetzt von: …“. Der Junge kann jetzt seinen Freunden sagen: Schaut mal, ich habe die Finnische Übersetzung gemacht!
    Jemand anders hat uns die Italienische Übersetzung verbessert; er wollte nur einen Link auf seine Website, und hat dann alle Webcams auf seinem Portal genutzt: Es ist also wie ein Austausch: Ich gebe dir was – du gibst mir was.