Denkfalle: „Fallstudien, die älter als ein Jahr sind, braucht keiner“

Das Institut für Wirtschaftsinformatik der Universität St. Gallen (IWI-HSG) betreibt schon seit einigen Jahren intensiv Fallstudienforschung. In diesem Zusammenhang haben wir kürzlich mit verschiedenen Personen aus Anspruchsgruppen, die an Business-2.0-Fallstudien interessiert sind, Interviews über deren konkrete Anforderungen geführt. Neben vielen Kriterien wie hohe Qualität und Innovativität, Vergleichbarkeit und eine kritische Anzahl von Fallstudien wurde auch eine hohe Aktualität der Fallstudien betont: „Alles was bereits über ein Jahr zurück liegt, ist in der schnellebigen Welt des Business 2.0 wahrscheinlich nicht mehr so interessant“ war die Aussage eines Interviewpartners, die mich stutzig werden lies und zu folgender Erwiderung bewog:

Dazu ein kurzer AusFLUG in die Wissenschaft: Schon die 1979 postulierte Reifestufentheorie von Richard L. Nolan (Stage Theory) verweist auf die verschiedenen Entwicklungsstufen eines Unternehmens hinsichtlich Informationstechnologie (siehe Abbildung). So dient dieses Modell Unternehmen zum einen als Handlungsanleitung zur weiteren Entwicklung, aber auch zur Identifikation der eigenen (Reife-)Stufe. Schnell wird hier klar, dass sich nicht jedes Unternehmen auf gleicher Stufe befinden kann. So sind einige Unternehmen vielleicht noch beim „take-off“, andere aber bereits schon auf der Höhe der möglichen Entwicklung.

Nolan Stage Theory

Hinzu kommt, dass analog der Innovationsforschung für Produktadaption bei Kunden auch Unternehmen unterschiedlich sensitiv auf „externe Veränderungen“, wie Bsp. Web 2.0, reagieren: Es gibt Innovatoren, Frühadaptoren, Nachahmer, etc. Somit kann ein neues Thema für Unternehmen zu sehr unterschiedlichen Zeitpunkten relevant werden. Die nachahmenden Unternehmen haben den Vorteil, von den Erfahrungen der Vorgänger profitieren zu können. Die Fallstudiendatenbank setzt genau an dieser Stelle an und gibt Unternehmen die Möglichkeit von anderen zu lernen. Der Zeitpunkt wann eine Fallstudie aufgenommen wurde spielt somit nicht die Rolle eines Ausschlusskriteriums; wichtig ist, dass der Kontext korrekt und nachvollziehbar beschrieben wurde.

Eine gut dokumentierte Fallstudie beschreibt zunächst anhand einer Vielzahl von Faktoren objektiv den Unternehmenskontext und das Unternehmen selbst. Das ist essentieller Bestandteil, um die Vergleichbarkeit und Übertragbarkeit zu garantieren. Daraus sollte dann auch ableitbar sein, in welcher Entwicklungsphase sich das Unternehmen befindet und wie seine Entwicklungsdynamik einzuschätzen ist. Wichtig ist auch, dass Fallstudien nicht nur Good oder Best Practices beschreiben, sondern auch Misserfolge, denn aus Fehlern lernt man bekanntlich ebenso wie von Vorbildern.

Ein weiteres Argument für die längerfristige Relevanz von Business-2.0-Fallstudien ist, dass zwar die konkreten Web-2.0-Tools und ihre Softwareversionen kurzlebig sein mögen, dass aber das Wissen, wie die organisatorische Implementierung den Nutzen der Web-2.0-Paradigmen sowie -Konzepte für das Unternehmen erschliesst, langlebig ist.

 

1 Kommentar zu diesem Artikel


  1. Stephan Magnus schrieb:

    Hallo Andrea!

    Wichtiger und richtiger Punkt!
    Wieso lernen wir z.B. aus historischen Dingen oder Altertumsweisheiten, wenn die Welt doch so schnelllebig ist? Weil es oft allgemeine Punkte und Erfolgskriterien sind, die darin eingebunden sind.
    Vielleicht kommt die Idee daher, dass viele Fallstudien als eine Art Kochrezept betrachten, statt die grundsätzlichen Ideen hinter dieser konkreten Anwendung zu sehen.

    Und . . . meiner Erfahrung nach ist – genau wie Du es andeutest – die unterschiedliche Adaptionszeit selbst bei den schnelllebigen digitalen Medien durchaus über fünf oder sechs Jahre gestreut. D.h. manche fangen jetzt mit etwas an, was andere Unternehmen vor fünf Jahren wagten.

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