Wird sich community-generierter Video-Inhalt im Lernumfeld durchsetzen?

Ein Medienunternehmer stellt mir per E-Mail die Frage: „Wie glaubst du, dass sich community-generierter Content im Lernumfeld durchsetzen wird?“ Wir hatten davor einen Mail-Austausch zum Thema Web-Videos, das Beispiel Sofa-Tutor kam ins Gespräch, und so nehme ich an, dass mit dieser Frage speziell Video-Inhalte gemeint sind; denn Wikipedia kann kaum gemeint oder in Frage gestellt sein – ist diese community-generierte Enzyklopädie doch weltweit unter den Top-Ten meistbesuchten Websites.

Hmm, diese Frage ist nicht gerade in zwei Minuten – à la Getting-Things-Done-Workflow – zu beantworten. So lange warten, bis ich die Frage an eine WissensWert Blogcarnival Ausgabe delegiert habe, wollen aber weder meine Gedanken noch der Fragende.

Hier also was mir dazu in den Sinn kam, las ich doch gerade als Gutachterin eine wissenschaftliche Arbeit (noch unveröffentlicht), die untersucht hat, welche Mechanismen dazu führen, dass Wikipedia kontinuierlich weiter wächst, d.h. Mitmachende attrahiert und dabei hohe Qualitätsniveaus bei den Artikeln erreicht werden, gerade weil sich so viele verschiedene Talente um jeweils einzelne Artikel kümmern. Wird sich peer-produced Video-Content im Lernumfeld zu einem ähnlichen Erfolgsmodell entwickeln? Werden Video-Communities – von denen ich einige in meinem Bericht „Veni – VIDEO – Vici: videobasiertes E-Learning auf dem Siegeszug 2.0“ zusammengetragen habe – das schaffen?

  • Die Anforderung Qualität
    Letztlich überzeugt und gewinnt Qualität. Sehr gute und solche die gut genug, dafür aber sehr preiswert ist. Bei Wikipedia wird user-generated Content durch die diversen Erweiterungs-, Signalisierungs- und Änderungshandlungen der vielen Mitwirkenden an einem Artikel immer besser. Während Texte von der Bedienung und dem zeitlichen Aufwand her recht einfach lektoriert und unmittelbar editiert werden können, ist das bei Video-Content nicht möglich. Die Community kann hier also nur sammeln, organisieren und bewerten, aber nicht wirklich kontinuierlich Inhalte verbessern. Der Wiki-Way, und das ist der Clou bei Wikipedia, funktioniert mit Videos nicht.
  • Die Anforderung Findbarkeit und Einflechtbarkeit
    Video-Inhalte sind erfolgreich, wenn sie breit genutzt werden. Das setzt voraus, dass sie einfach und gezielt gefunden werden können, um wiederum supereinfach in das Kurskonzept eines Dozierenden eingebaut werden zu können. Wenn ich an meine derzeitige Praxis denke, wie ich ein Lernarrangement für 90 Minuten, halbe oder ganze Tage bzw. einen Kurs für ein ganzes Semester zusammenstelle, dann benutze ich zwar ab und an Videos, aber es ist ungleich aufwendiger, diese zu finden, sie zu beurteilen, aus ihnen den Teil rauszunehmen, den man gerade passend findet, und eine Videosequenz in den eigenen Blended-Content einzuflechten als dies bei Texten der Fall ist. Da helfen das Tagging und die „Zertifizierung“ durch User-Bewertungen der Nutzer-Crowd schon, nicht in der Infoflut zu ertrinken, aber es ist immer noch eine Auswahl unter Vielem zu treffen.
    Was das Kreieren von „codifiziertem Wissen“ anbelangt, sei es ein Spickzettel oder eine Präsentation, ist es heute ja oft einfacher, eine Anwendung zu „Programmieren“ als ein Folienset zur Vermittlung eines Lerninhalts zusammenzustellen. Das ehrfürchtig-verhasste Programmieren fühlt sich bei Web-Diensten doch an, wie Online-Formulare auszufüllen, und das noch mit Drag&Drop (auf diese Art habe ich erst in den letzten Wochen eine Ning-Community gebaut und ein Online-Survey gestaltet). Ein Lernmodul kann man aber nicht aus Lernobjekten oder Lernvideos Draggen&Droppen, so wie es z.B. geht, wenn man online ein digitales Fotobuch gestaltet.

Zwischenfazit meiner Überlegungen ist: Offene Video-Portale zu bestücken macht Spass, das ist ein Renner, insbesondere je einfacher es wird, die Videos hochzuladen, und das wird sehr schnell sehr viel einfacher. Und darunter werden immer herausragende Fundstücke sowohl von Profis wie auch Amateuren zu finden sein, die nicht selbst Lehrende sind oder nie über einen Verleger „zu Wort und Video“ gekommen wären.

Video-Portale bzw. Communities als Quelle von Lernmaterial für Lehrende und Lernende zu sehen scheint mir in der Web 2.0 Ära nicht viel anders zu sein als die langjährigen Bemühungen, Lernobjekt-Repositories mit wiederverwendbaren Modulen aufzubauen. Die waren schon mit Experten- bzw. lektorierten Inhalten keine Renner und werden es auch in 2.0-Manier schwer haben, eine dominante Stellung zu erreichen. Ja, ich weiss: Da ist der Erfolgssturm von iPhone Apps bzw. mobilen Apps. Unter diesen ist viel Educational Content, und die Developer Community ist offen. Und die iTunes Universities wachsen auch fleissig. Und liest nicht alle Welt „Harry Potter“? Ja! Nur welche Lerninhalte eignen sich für so breite Nutzung? Community-Generierung wird präsent sein, sicher, es werden gute Inhalte dabei sein und wie der Rahm auf der Milch oben schwimmen; der Anteil von Video-Medien, die im Lehr-/Lernkontext verwendet werden, wird steigen, ja. Aber den richtigen „Clou“, den grossen Durchbruch einer community-generierten Lernvideo-Website, den sehe ich noch nicht – lasse mich aber gerne eines Besseren belehren.

1 Kommentar zu diesem Artikel


  1. Veni – VIDEO – Vici: videobasiertes E-Learning auf dem Siegeszug 2.0 | weiterbildungsblog schrieb:

    […] einem aktuellen Blog-Post fragt Andrea Back noch nach den Chancen von “peer-produced Video-Content im Lernumfeld” […]

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