Podiumsdiskussion: Web 2.0 im Unternehmen – Ein Luxus nicht mitzumachen?

Podium Enterprise 2.0 - Ein Luxus nicht mitzumachen?

Im September vergangenen Jahres fand anlässlich der 20-Jahrfeier des Instituts für Wirtschaftsinformatik an der Uni St. Gallen eine Podiumsdiskussion zum Thema „Web 2.0 im Unternehmen – Ein Luxus nicht mitzumachen?“ statt. Diskutanten auf dem Podium in einer Gruppe von ca. 30 Präsenzteilnehmern und nochmals 23 Personen, die dem Gespräch per Live-Streaming im Web folgten, waren Dr. Florian Heidecke, arvato (Bertelsmann AG), Jürg Stuker (CEO Namics), ein Teilnehmer spontan aus der Runde, der sich mit dem Thema Communities beschäftigt, und als Keynote-Referentin ich selbst, Prof. Dr. Andrea Back.

Die Tage zwischen den Jahren boten die Musse, die Videoaufzeichung davon Revue passieren zu lassen. Hier eine Auswahl von Aussagen und Fragen, die die Intensität und Lebendigkeit der Diskussion wiederspiegeln. Wer sich Zeit zum Zuhören in voller Länge nehmen möchte, kann die beiden je knapp 30 Minuten langen Videoaufzeichnungen auf der Website des Instituts – ungeschnitten in Original-Atmosphäre – ansehen.

Teil 1: (hier zum Videomitschnitt)

  • Der Themeneinstieg drastisch formuliert: Gilt es die Idee Web 2.0 zu beerdigen, oder werden irgendwann die ewig Gestrigen beerdigt?
  • Min 6:45, ein Teilnehmer: Die Social Media Themen, Facebook, Twitter etc., sind ja ein Hype. Was bringt mir das im Industrieunternehmen, mich damit zu beschäftigen? Ist es eine Spielerei unter Jugendlichen, oder steckt da irgendeine Substanz dahinter?
  • Min 8:30, These von Herrn Heidecke: Web 2.0 Applikationen werden auf überschaubare Zukunft primär in Unternehmen der IT-Branche anzutreffen sein; eher nicht in produktionsgeprägten Unternehmen. Und die Gegenrede Herrn Stukers ab Min. 9:25, der u.a. sagt, dass sich viele Sachen im Umgang mit Menschen verändern, das Kommunikationsverhalten: Das macht vor den Unternehmensgrenzen nicht halt. Stuker plädiert für Experimentieren anstatt nur an 2-Jahres-Projekte zu denken; er drückt das so aus: „Ausprobieren! Wegschmeissen oder gross machen“.
  • Min. 13:20, Prof. Dr. K. Stanoevska nennt vier Gründe, warum es ein Luxus wäre, nicht mitzumachen: Wahrscheinlich tummeln sich Kunden und Mitarbeiter dort. Grössere Unternehmen sind ohnehin „von der Masse schon ins Web 2.0 eingesogen“. Viele Soft-Prozesse lassen sich effizienter unterstützen. Das löst wieder verschiedene skeptische Gegenfragen und -stellungnahmen aus.
  • Min 17:30, Teilnehmerin: Man fühlt sich als Firma gezwungen mitzumachen; andererseits investiert man nicht viel Geld dafür.
  • Min 18:10, E. Schöllkopf, bringt ein Beispiel für die Kommunikation bei einem Neupositionierungsprojekt eines amerikanischen Unternehmens via Facebook, Twitter und Livestreaming.
  • Min 19:10: Heidecke klärt, dass zu unterscheiden ist zwischen Web 2.0 an der Schnittstelle zum Kunden (wobei traditionelle Genehmigungsprozesse der Unternehmenskommunikation die Spontaneität, die damit möglich und gewollt ist, verunmöglichen) und Web 2.0 intern im Unternehmenseinsatz,
  • Min 22:00, Andrea Back: „Meine Denk-Brüder und Schwestern habe ich auf Twitter gefunden. Das ist mein persönlicher Flurfunk.“
  • Min 23: Stuker spricht über Werbung, die klassischen grossen Kampagnen: Dass sich geändert hat, welcher Kommunikation die Kunden vertrauen. Eine Teilnehmerin bringt das häufige Bedenken gegenüber Social-Media-Werbung: Kommt das nicht ein bisschen billig rüber?
  • Min 25:10, ein Teilnehmer: Grosse Unternehmen können es sich nicht erlauben, das einfach mal einzuführen, einfach mal die Netze öffnen. Das geht direkt auf die Produktivität. … Stuker: Wenn sich Mitarbeiter nur noch auf Facebook tummeln, dann habe ich als Unternehmen ein anderes Problem.

Teil 2: (hier zum Videomitschnitt)

  • Min. 0:30, Prof. Dr. H.-D. Zimmermann: Er erinnert sich an die Zeiten, als E-Commerce aufkam: Die ersten Web-Server sind so passiert, wie heute Twitter und Facebook in Unternehmen. … Man hat es in manchen Unternehmen laufen lassen, ohne eine fertige Strategie zu haben.
  • Min 3, ein Teilnehmer: Was ich die lezten 30 Minuten gehört habe, tönt wie ein ganz normaler Innovationsprozess, wie wir ihn in der Historie schon x-mal gesehen haben. … A. Back, betont, was anders ist: Wer die Innovationen lanciert, sind nicht nur die Leute, die in den Innovationsabteilungen sind, sondern das könnte jeder sein.
  • Min 4:15, Stuker spricht über das Problem der Informationsmasse und dass Relevantes herausgefiltert wird, auch am Beispiel der Twitter-Wall im Hintergrund des Bilds.
  • Min 5:20. Teilnehmer E. Schöllkopf bringt ein Beispiel, wie eine Collaboration- und Community-Plattform im bereits oben erwähnten Unternehmen funktioniert hat, wie durch eine Tag-Wolke Wissensträger global zueinander fanden  (Software-Branche). Auch sei es relevant, den jungen Talents einen attraktiven Arbeitsplatz zu gestalten.
  • Min 8, Herr Heidecke: Die Unternehmenswelt ist stark durch Hierarchien geprägt. Man kann die Praktiken aus der privaten Sphäre nicht so einfach in die Unternehmen tragen. … Wenn das nicht top-down vom Management vorgelebt und aktiv promotet wird, dann hat das in der Breite keine Chance.
  • Ab Min 11 werden Erfahrungen und Sichtweisen über das Erlernen der Web-2.0-Werkzeuge ausgetauscht.
  • Min 15, ein Teilnehmer: Manchmal ist es gut, wenn eine Community geschlossen ist. In den Tweets auf der Twitterwall, in der über die Podiumsdiskussion geredet wird, kommt Skepsis zum Ausdruck – ist dies nicht tendenziös, ist das nicht „gefährlich“ in der offenen Welt?
  • Min 16:30, ein Teilnehmer: Welche Nutzen stiften diese Web 2.0 Geschäftsmodelle, wo sind die nutzenstiftenden Modelle? Diese Fragen soll die Wissenschaft beantworten. Es gibt heute z.B. viele Unternehmen, die können mit e-Commerce nicht viel anfangen.
  • Min. 19:15, ein Teilnehmer: Wie macht man Kunden zu Fans? Wie sind die Web 2.0 Anwendungen „konstruiert“? Andrea Back ergänzt die acht Web-2.0-Prinzipien.
  • Min. 22:15,  Heidecke findet, es existieren bisher kaum nachhaltige Geschäftsmodelle. Die Auseinandersetzung mit Anforderungen von Unternehmen sei noch nicht intensiv genug: Z.B. Sicherheit und Kontrolle über Inhalte. Das löst wieder eine rege Diskussion aus; die Musikindustrie wird als Beispiel mehrfach angeführt.
  • Min 27, Thomas Walter weist darauf hin, dass es in kurzer Zeit zahlreiche  Tweets es zum Hashtag #iwi20jahre gibt.




4 Kommentare zu diesem Artikel


  1. Guido Neumann schrieb:

    Eines der für mich interessantesten Prinzipien formuliert Jürg Stüker (sinngemäß):

    „Wir probieren etwas aus – und entscheiden dann über Sinn und Nutzen.“

    Wieviele der anwesenden Teilnehmer mögen sich wohl daran halten?

    In der Theorie kann alles funktionieren – und alles scheitern. – Und nun, werte Diskutanten?

  2. Jürg Stuker schrieb:

    Danke Herr Neumann.

    Mich erstaunt es immer wieder, dass bewährte Prinzipien, beispielsweise der „Pipeline-Ansatz“ aus der Pharma Branche oder die Priorisierung von Anforderungen beim agilen Projektmanagement in vielen Firmen keine Beachtung finden. Der 5-Jahresplan und das lang zuvor erstellte Budget ist wichtiger als der aktuelle Kontext.

    Ob sich Firmen dran halten? Je mehr unternehmerische Denke, desto eher hat dieser Ansatz Erfolg.

  3. Wittkewitz schrieb:

    Ich denke, dass es mehrere Gründe für den ausbleibenden Wandel gibt. Zum Einen ist da die Mehrarbeit zu der kein Mitarbeiter mit den Schlagworte „Wissensaustausch“ oder „Kooperation“ motiviert wird. Dann ist da bei guter Durchführung ein Verflüssigen des mittleren Managements, das als Kommunikator oft überflüssig wäre – weshlab von dort die geringste Unterstützung kommen wird – und vor allem ist es das Beharren auf einem Strategiemanagementkonzept aus dem 19. Jahrhundert, der strategischen Planung. Solange die Kader und Managementebenen und Abteilungen solange Informationen sammeln, bis sie eine klare Analyse und Planung aufsetzen, wird es keine Möglichkeiten geben, dem Markt angemessen zu reagieren. Und damit meine ich hier den Arbeitsmarkt, denn in den USA wird mit ROWE und hier auch schon bei einigen Dienstleistern mit heterarchischen Strukturen und Organisationsformen an evolutionären oder symbolischen Strategiekonzepten erfolgreich gearbeitet. Da hilft das stille Beobachten der Anderen kaum. Wahrscheinlich ist es sogar ein Hinweis auf pathologische Organisationsformen.

  4. Andrea Back schrieb:

    Danke für diesen substanziellen Beitrag.
    Für die Worte „Wissensaustausch“ und „Kooperation“, die kaum Bewegungsenergie auslösen, wie es „Visionen“ und strategische Initiativen sollten, bin ich auch laufend auf der Suche nach anderen Begriffen. Frank Roebers hat einmal schön gesagt „Barrieren für die Mitarbeit aus dem Weg räumen“.
    In unserem Seminar „Mit Sharepoint & Co – zum wirkungsvollen Collaboration Workplace – Enterprise 2.0 ist Führungsaufgabe“ kamen die von Ihnen genannten widrigen Umstände gerade in Konzernunternehmen für die Entwicklung einer Enterprise-2.0-Kultur zur Sprache, und doch kommt man nicht zum Schluss, „nichts“ zu tun. Es gibt sie, die Möglichkeiten neue Denk- und Arbeitsweisen im middle-up-down-Approach zu implementieren. Aus einzelnen Fachabteilungen kommen An-Forderungen von Seiten der Nutzer. Da gibt es doch ein Sprichwort: „Die längste Reise beginnt mit dem ersten Schritt“. Oder Henry Ford soll gesagt haben: „Die meisten Menschen scheitern, weil sie zu früh aufhören, oder erst gar nicht anfangen“. Das gilt vermutlich auch für Organisationen, die Potentiale für Enterprise 2.0 verpassen oder die Gefahren falsch einschätzen, denn geben tut es die Risiken natürlich auch.

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