Perpetual Beta: Beim Start noch nicht perfekt (Teil 2 von 9)

Das neue Jahr hat an einem Vollmond-Freitag hier perfekt begonnen. Wenn man ein Web-Business nach dem 2.0 Paradigma beginnt, muss es beim Start nicht perfekt sein, denn da gilt das Prinzip „Perpetual Beta„. Wie im Einladungspost zu dieser bis Februar laufenden Case-Friday Vlog-Serie beschrieben, geht es im Gespräch mit Jörg Eugster, Geschäftsführer der OPAG Online Promotion AG, darum, am Beispiel seiner Internet-Geschäftsmodelle den acht Web 2.0 Prinzipien auf die Spur zu kommen.

Auf der Perpetual-Beta-Karteikarte steht: emergent – release early and often – open co-development. Jürg Eugster veranschaulicht diese Stichworte wie folgt (Anm.: sinngemäss zitiert):

Logo mit Hinweis "Beta"

Immer klein und unvollständig angefangen

  • Als wir gestartet sind, wussten wir, das ist noch nicht perfekt. Webcams.travel nennen Wir Webcam-Community, und dort steht explizit „Beta“ drauf. Die Ziel-Anzahl von Webcams, das kommt mit der Zeit. Wir sind permanent in der Beta-Version, denn Kunden schreiben uns: Hey, das wäre doch eine coole Funktion, oder wir vermissen etwas. Es entsteht etwas und wird immer grösser.
  • Das Portal ist in vielen Sprachen verfügbar. Wir haben x Sprachen, die von Benutzern für uns gratis übersetzt wurden.

Kritische Masse

  • Ganz am Anfang hatte Topin 30-40 Webcams und war erfolgreich.
  • Bei SwissWebcams hatten wir relativ rasch 200 Webcams, was wir als kritische Masse angesehen haben. Heute ist das ein Selbstläufer.
  • Anfangs hatten wir bei Webcams.travel 2000, zwei Jahre später schon 10.000 Webcams. Was es braucht, dass der Benutzer das als eine wertvolle Site anschaut, ist eine zentrale Frage, aber schwer zu beantworten.

Beta hat den Beigeschmack von fehlerhaft

  • (zu seinen früheren KMU-Erfahrungen) Mit unserem Schweizer Perfektionismus, da musste alles perfekt sein, dafür ist es halt ein Jahr später herausgekommen.
  • Im Web ist Geschwindigkeit (time-to-market) sehr wichtig, lieber mal etwas bringen, das nicht perfekt ist: 80% genügt schon. Das entwickelt sich dann selber weiter, denn die Leute haben Anteil, sie schreiben uns.
  • Wenn uns jemand gratis eine Übersetzung macht, dann sagen die Leute sofort: „Aber die Qualität!“ Das korrigiert sich jedoch selber. Zum Beispiel: Es kamen aus der ganzen Welt Mails: Euer Spanisch ist ein bisschen komisch. Und dann einmal hat jemand die Übersetzung für uns gemacht.


Den Web-2.0-Prinzipien und -Merkmalen auf der Spur (Vlog Serie)

Wie und woran erkennt man, ob ein Web-Angebot webzweinullig ist? Genauer noch: Wie viel Web-2.0 steckt drin, und was nicht?

Eight Core Web 2.0 Patterns (Musser, O'Reilly 2007)

Diese Fragen beschäftigen mich schon seit über einem Jahr, denn für „Web 2.0“ gibt es keine klare Definition. Der Ausdruck bezeichnet etwas Neuartiges am Internet, das nicht technischer Natur ist und so viel Aufmerksamkeit weckt, dass von einer neuen Generation des Internet die Rede ist. Dieses Neuartige am sogenannten „Mitmach-Web“ liegt im Verhalten und in der Rolle der Anwender, nennen wir es Nutzungsinnovationen, und in den Möglichkeiten für neue Geschäftsideen; lassen Sie uns das Geschäftsmodell-Innovationen nennen. Die Andersartigkeiten von Web-2.0-Modellen werden oft als kontraintuitiv zu bisherigem Managementwissen empfunden oder von vornherein nicht verstanden.

Das Web-2.0-Paradigma wird es als eine Reihe von Wesensmerkmalen und Prinzipien beschrieben, z.B. den „Eight Core Patterns“ von Musser und O’Reilly 2007, die auch im Foto zu diesem Post auf den Karteikarten abgebildet sind.

Um diese Web-2.0-Prinzipien anschaulich zu machen und zu zeigen, wie sie in der Geschäftspraxis funktionieren, habe ich mich zu einem Entrepreneur aufgemacht, der als Internet-Unternehmer seit Jahren aktiv ist, Jörg Eugster, Geschäftsführer der OPAG Online Promotion AG. Diese betreibt u. a. www.topin.travel, www.swisswebcams.ch und www.webcams.travel, die als Erfahrungshintergrund in unserem Interview zur Sprache kommen. Bei einem Internet-Pionier vermutete ich, dass Web 2.0 in dessen Geschäftsmodellen vorkommt. Und so habe mich bestückt mit Karteikarten zu den acht Web-Patterns zum Interview aufgemacht, um diesen Prinzipien auf den Grund zu gehen. Folgen Sie also der Serie von Gesprächsausschnitten, und entdecken Sie mit mir, wo in Eugsters Internet-Business Web 2.0 in Aktion und Funktion zu sehen ist.

Hier im einführenden Video zunächst ganz frei, wie Jörg Eugster für sich Web 2.0 definiert (wer das Video startet hört, dass wir reden wie man das in der Schweiz ganz selbstverständlich macht: zunächst mal jeder die Sprache, die ihm oder ihr am nächsten liegt – solange die Gesprächspartner einem verstehen. Das kommt meiner Erfahrung nach auch ausserhalb der Deutschschweiz gut an und wirkt sympathisch; im letzten Drittel von Teil 3 der Vlog-Serie wechseln wir aber ganz ins Hochdeutsche.)

P.S.: Bei O’Reilly Media ringt man übrigens weiter damit, die Gestaltungsprinzipien von „2.0“ dingfest zu machen. Im Buch „Designing Social Interfaces“ (Malone, E.; Crumlish, Ch. O’Reilly media and Yahoo!Press, 2009) ist von Social Patterns und Anti-Patterns die Rede.

Kritik im Netz – aber nie unter die Gürtellinie (Teil 5 von 5)

Schliesslich kommt Bernd Schmitz in seinem Interview mit Jan Westerbarkey, dem Geschäftsführer der Westeflex-Gruppe, noch auf ein Bedenken zu sprechen, das viele Entscheider zögern lässt, sich in die weltweite Internetöffentlichkeit zu begeben. Nämlich ob man damit nicht schlechter Kritik, oder gar Mobbing, Tür und Tor öffnet. Ab Min. 18 hören wir, was Westaflex erlebt hat und wie das mittelständische Unternehmen damit umgeht.

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  • Kritik ist immer willkommen, ob intern oder öffentlich geäussert. Das ist die Grundlage für jede Art von ernst gemeintem Dialog.
  • Wir haben sicherlich den ein oder anderen Kommentar abgekriegt, z.B. „Viralkampagne von Westaflex stinkt“. Das war aber auch, weil wir Anfangsfehler gemacht haben.
  • Unsere Erfahrung mit dem Thema weltweite Internetöffentlichkeit ist: Das ging nie unter die Gürtellinie, es ist immer sachlich geblieben, wahrscheinlich auch, weil wir authentisch geantwortet haben und bei den Antworten nicht emotional geworden sind.
  • Natürlich gibt es auch Kunden, die beispielsweise sagen, entweder ihr löst diesen Kundendienstfall, oder ich schreibe mal was in so ein Bewertungsportal usw. Auch da wieder: All die Situationen, die denkbar sind, uns sind sie noch nicht passiert.  Wahrscheinlich weil wir sagen, … wir sind bereit dazuzulernen, wenn wir Fehler machen. Es muss eine Lernkultur das sein, ich denke, das ist das Entscheidende.
  • Ab Min. 22:40 zum Thema Mitarbeiter-Blog: Natürlich gibt es so etwas wie einen Ehrenkodex intern. Aber der hat nie zum Handeln Anlass gegeben. Denn wenn man den Mitarbeitern Vertrauen schenkt, dann machen die auch gar keinen Quatsch.

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Bewerbung 2.0 erwünscht, aber ohne Bewerber zu Googeln (Teil 4 von 5)

Die Web-2.0-Kultur soll auch mehr und mehr im Recruiting gelebt werden, sagt Jan Westerbarkey, der Geschäftsführer der Westeflex-Gruppe, (siehe Intro-Blogpost: Westaflex – Enterprise 2.0 im Mittelstand).

Im Gespräch, das Bernd Schmitz aufgezeichnet hat, erläutert er zwischen Min 14.10 und Min. 17:20, welche Möglichkeiten er gut findet und welche er ablehnt.

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  • Wir haben vor, dass Bewerber nicht nur einem Lebenslauf – meinethalben als PDF – schicken können, sondern ein ein- bis zweiminütiges Video von sich selbst. … So bekommt man ein Bild von einer Person und weiss, die passt mir auch menschlich, da bin ich geneigt, die mal einzuladen.
  • Wir möchten eins nicht, Bewerber die wir einladen vorher Googeln. Das möchte ich aus Prinzip nicht. … Ich möchte die Jugendlichen … frisch wie sie sind, am liebsten mit einem eigenen lebendigen Video, und mich interessiert nur insoweit die Historie als sie die Schul- und Ausbildung betrifft. Aber alles andere, da interessiert mich eigentlich mehr das Potential.
  • Wir haben eine sehr aktive Ausbildung. … Unsere Auszubildenden bloggen auch über ganz bestimmte Themen. Die meisten Auszubildenden sind verwundert, dass sie bei uns so viele Freiräume haben.

Von einem Pilotversuch mit Second Life in 2008 berichtet Westerbarkey dies (ab Min. 21):

  • Wir hatten eine eigene Insel. Dort gab es eine Erlebniswelt … die Verbindungsgänge waren röhrenartig gemacht. Dort haben wir ganz unabhängig von unseren Produkten Leute kennen gelernt, die bei uns später ein Praktikum gemacht haben, die gesagt haben: „So bekannt ist Westaflex ja gar nicht. Egal ob ich jetzt ein Ingenieurstudium mache oder Handwerker werde, die behalte ich jetzt mal im Auge.“ Das kann man wahrscheinlich nicht beziffern.

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