Web 2.0 und Enterprise 2.0: Die klassischen Machtstrukturen geraten einfach ins Wanken

Ulrike Reinhard präsentiert Ausschnitte aus dem Gespräch „Enterprise 2.0 meets HR“ zwischen Thomas Sattelberger, Personalvorstand und Arbeitsdirektor der Deutschen Telecom AG, und Prof. Dr. Peter Kruse. Einige Zitate daraus, die ich mir für die Verwendung in eigenen Vorträgen und Diskussionen merken möchte, habe ich  für Sie hier in Text festgehalten.

Prof. Dr. Peter Kruse:

  • Die klassischen Machtstrukturen geraten einfach ins Wanken. Insofern wird uns das Thema „Macht“ die nächsten Jahre heftig begleiten.
  • Mit dem Web 2.0 ist der Druck auf das System gewachsen. Wir haben eine Welt, die sich immer stärker vernetzt. Wir können uns immer weniger erlauben, das zu ignorieren.
  • In den letzten 20, 30 Jahren haben wir sehr stark optimiert. Plötzlich steht das Thema „Innovation“ stark im Raum. Innovation funktioniert in Netzwerken deutlich besser. Im Bereich der Umsetzung brauchen wir Hierarchie. Aber die gute Idee zu bekommen ist eine Netzwerkfunktion.
  • Wir müssten uns irgendwie Gedanken darüber machen: Wie können wir die Abstimmungsprozesse zwischen diesen verschiedenen Professionen beschleunigen? Da wird es interessant in Richtung Enterprise 2.0, denn ich glaube, dass die Werkzeuge, die dort vorhanden sind, tatsächlich diese Prozesse beschleunigen können.
  • Ich glaube das ist kein Idealismus, sondern das ist ein systemisches Fakt. Hier findet etwas statt, was Transparenz von aussen erzwingt.
  • Wenn gemeint wird, man könne mit strategisch-taktischer PR das Ganze noch im Griff halten …, dann sage ich: „Jetzt träumt weiter“. Die innere Logik der Netze arbeitet gegen eine ideologische Vereinheitlichung.
  • In Netzen ist der mächtig, der einspeist, … der als Nachfrager unterwegs ist, nicht der Anbieter.
  • Wenn wir die Regeln in einem System ändern, machen wir ein neues Spiel auf. … Wer immer das behauptet, er wüsste das, der guckt hier in eine Glaskugel; da sage ich: He komm, sei lieber still.

Th. Sattelberger:

  • Ich vermute, wir bekommen in Teilen eine Renaissance der mittelalterlichen Zünfte, (Kruse: also eine Art von Idendität, die sich an meine Professionalität knüpft.) wo die juristischen Grenzen (der Firma) eigentlich beliebig sind.
  • … dass ich als Unternehmen in jeder Faser im Grunde ausgeleuchtet werden kann, und dass ich damit meine Handlungen sehr viel bewusster gestalten müsste. Insofern ist das Netz ein äusserst willkommener Beschleuniger dessen, was gute Menschen schon immer wollten.
  • Um nicht in einer Parallellwelt autistisch zu leben, muss ich (HR) aktiver Mitspieler sein.
  • Je stärker Menschen im Netz tätig sind, umso mehr sind wir gezwungen, die Internetdemokratie auch real zu leben.
  • Das Arbeiten mit dem Netz und im Netz ist eigentlich ein Arbeiten, das auch sehr würdevoll (Kruse: … gegenseitig würdigend) ist.

Und last, not least: „Lieber Herr Kruse, da muss man erst in unser Alter kommen, um das so relaxt zu sagen.“

Women Wired in Web 2009 – Women Wired in BOSW-Jury 2010

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S. Kemnitz - Jurorin BOSW Women Wired in Web

Die Jury zur Bestimmung der Best of Swiss Web Awards (BOSW) für 2010 hat letzte Woche getagt. Es waren wiederum fast runde 100 Juroren am Werk. Und doch war etwas ein klein wenig anders. Ob es jemanden aufgefallen ist? Es wurde jedenfalls kein Tamtam darum gemacht. Aber bevor ich dieses Rätsel auflöse, blicken wir zunächst auf BOSW im vergangenen Jahr zurück.

In 2009 gab es den Spezial-Award «Women Wired in Web».

Der Anteil von Frauen, die sich für ein Berufsbild in der Web- und IT-Branche entscheiden, ist verschwindend gering. Es braucht also Marketing-Massnahmen zur Ermunterung nicht nur von jungen Frauen, sondern auch ihrer Ratgeber/innen und Arbeitskollegen, diesen Weg einzuschlagen und Karrieren ins Auge zu fassen. Es ist bekannt, dass Vorbilder und Identifikationsfiguren sehr wirksam sind, Barrieren und Vorurteile abzubauen, dass gewisse Berufe nur für Männer oder für Frauen geeignet seien. Und genau das konnte der Award leisten: Frauen sichtbar machen, die eine leitende und massgebliche Rolle in preiswürdigen Web-Projekten inne haben, und damit lebendig zeigen: Das sind Frauen verschiedenster Persönlichkeiten, die Spass an ihrer Arbeit ausstrahlen und hochinteressante Ergebnisse mitgestalten. Solche Bilder braucht es  nicht einmal oder zweimal, sondern wieder und wieder, um die „alten“ und unbewussten Rollenbilder in den Köpfen durch zeitgemässere und vielfältige Eindrücke allmählich verblassen zu lassen.

Wie Gespräche an der Award-Night zeigten, wurde diese Intention und Bedeutung von Identifikationsfiguren von vielen nicht erfasst. Einige sahen es als ungerechtfertigte Bevorzugung von Frauen an, d.h. sie fühlten sich diskriminiert. Es war schwer für sie zu erkennen, dass die Frauen nicht nur als Anerkennung für ihre Leistung eine Bühne bekommen hatten, sondern dass die Bühnenbilder für die Zielgruppe gedacht sind, die Berufswahl- und Karrierewegsentscheidungen trifft und beeinflusst.

Nun aber zur Auflösung, was denn in 2010 ein klein wenig anders war: Wir wissen nicht, wie man die Wirkung dieser Women-Wired-in-Web-Aktion im grossen und ganzen messen könnte. Was wir wissen ist, dass aus der dafür in 2009 speziell zusammengestellten Frauenjury einige für die Jury-Community rekrutiert wurden, d.h. jetzt wirklich dazuzählen. In 2008 war der Frauenanteil unter den Jurymitgliedern ca. 5.5 Prozent, in 2010 waren 15 Frauen dabei, d.h nun sind es 17 %.

Wie müsste die Geschlechter-Diversity denn sein, damit man gar nicht mehr auf die Idee kommt, diese Zahlen überhaupt auszurechnen? Bis dahin wird es noch eine Weile gehen, schätze ich. Auch ausserhalb der Schweiz gibt es Plattformen für das Thema Berufsmarketing durch Identifikationsfiguren. Z.B. dieses Business Magazine for Female Internet Heroes. Wir sind gespannt, wann eine Projekteingabe dieser Art bei BOSW zu jurieren sein wird.

Meine spannendste Tagung der letzten Monate: Auf gestrandeter Trainings-Arche

Grafikloge WissensWertIn der Ausgabe 11. des WissensWert Blog Carnival fragt Jochen Robes, welches die spannendste Tagung in den letzten Monaten war.

Ich wusste meine Antwort sofort: Es war die SCOPE‘ 09 im September in Wedel. Die war im übrigen kein Barcamp (siehe WissensWert Blog Carnival Ausgabe 8: Edu-Barcamps), was man spontan wegen meinem Interesse an Lern-Themen vermuten könnte. Zur SCOPE’09 hatte  mich Ulrike Reinhard eingeladen, und zwar auf das Segelschiff „Roter Sand“, auf dem dann 23 Leute zusammen kamen. Die Wirkung der „Architektur“ des Tagungsortes fand ich äusserst spanned: Es brauchte nicht zahlreiche Gruppenarbeitsräume – nein im Gegenteil. Das Schiff bot auf kleinem Raum viele verschiedene Gesprächsorte (klicke diesen Link zum Video, die Szenen nach dem kurzen Digeredo Auftakt). Es war zudem störungsfrei möglich, sich zwischen diesen Gesprächstreffpunkten fliessend zu bewegen, oder auch sich mal auszuklinken. Das ist wie «Open Space» sich anfühlen sollte. Um ein wenig von dieser Atmosphäre in Konferenzsäale und Messehallen zu holen, könnte man ja einmal eine „Trainings Arche“ mitten im  Messe-Meer plazieren.

Dann das web-zwei-nullig Spannende, das mich heute noch fasziniert und mein Weiterdenken beschäftigt, waren die diversen und neuartigen Arbeitsweisen, wie die Gruppen ihre Ergebnisse festhielten. Das ist ein wichtiger Gestaltungsaspekt von „Tagungen“.

Die engen Platzverhältnisse und die an das Kindergeburtstagsspiel „Schokolade-mit-Handschuhen-schneiden-müssen“  erinnernde Einkleidung in Rettungswesten machten es praktisch unmöglich, mit traditionellen Mitteln zu arbeiten: Wie sollte man da Flipchart-Zeichnungen handhaben, Folien für die Präsentation auf einem Overheadprojektor bemalen, und aufwendige PPT-Slides erstellen. Aber ein Notebook oder andere Devices mit Netzanschluss hatten einige dabei, denn das gute alte Schiff war mit W-LAN ausgestattet. Es genügte eine notdürftige Leinwand für die Momente, wo es einen Beamer brauchte. Sie behinderte zwar wie ein Vorhang  den Weg in die Kaffeeküche, dafür gestaltete sich das Geschehen an und um die Leinwand für die Zuschauer abwechslungsreich.

Einer der Teilnehmer, Frank Hamm, machte TV und „streamte“ unsere Tagung in Echtzeit ins Internet. Mit Handy – oder waren es andere Video-Devices? – wurden Videoschnippsel und Statements aufgenommen, nicht nur getwittert #scope09. Und deshalb gibt es auch Fotos, hier in der Diashow zu sehen:

Einzelne (z.B. Frank Roebers, Ulrike Reinhard) machten ihre Mitschrift zur Veranstaltung gleich im persönlichen Blog. Ich selbst folgte wie oft der heissen Spur von neuen Tool-Tipps, die Martin Lindner immer auf Lager hat, und notierte die Arbeitsergebnisse unserer Gruppe ins simultan-kollaborative Wiki Etherpad, d.h. auf eine öffentliche Website. Das fand ich genial, muss ich sagen. Es war nicht allein meine Verantwortung, für die Ergebniskommunikation am nächsten Morgen den Bericht zu schreiben, die Hotelzimmeraufgabe hatten wir alle. Noch bevor ich dann am nächsten Morgen präsentierte – und auch während der Präsentation als eine Diskussion am runden Tisch dazu aufkam – ergänzten, verbesserten und formatierten Mitglieder meiner Gruppe den Text. Das Mitprotokollieren war wie gleichzeitiges Editieren eines Wikipedia-Artikels – und das im Zeitrafferfilm vor aller Augen. Als ich ausgesprochen hatte, war der Text schon weiterentwickelt und ist jetzt immer noch für jeden nachlesbar und verlinkbar, siehe die Site „Clou-Ship Manifesto – Collective Intelligence im Unternehmen verankern„.

Mit einem Schmunzeln halte ich als eines von viel Gelerntem fest: Wenn es darum geht, eine neue Tagungskultur zu schaffen und alte Praktiken über Bord zu werfen, dann ist es manchmal besser, man macht es den Leuten hinsichtlich Platz und Arbeitsmitteln unbequem und legt ihnen Beschränkungen auf. Dann entsteht Energie, sogar so viel, dass es uns gar nicht viel ausmachte, dass das Schiff auf Sandbank lief. Ganz wie der Volksmund schon immer wusste: Not macht erfinderisch, d.h. innovativ: Besonders wenn Web-Innovation mit an Bord sind.

Leseauswahl von 40 Seiten für ein Seminar: Aus dem Buch Praxisleitfaden Enterprise 2.0

Mentionmap

Für die Teilnehmer/innen an meinem Enterprise 2.0 Seminar (ein Kollege sagte mir neulich, ich solle das didaktische Format doch treffender „Bootcamp“ oder „Arbeitslager“ nennen) habe ich mir schon länger vorgenommen, auf deren spezifische Situation in Unternehmen zugeschnittene Leseempfehlungen zu geben. Da sie das Buch aus eigenem Haus: „Web 2.0 in der Unternehmenspraxis, 2. Auflage 2009″ ohnehin mit ihren Unterlagen erhalten, schaue ich mich dafür nach weiteren aktuellen Quellen um. Wegen des Titels „Praxisleitfaden …, 2009“ ist als erstes das Buch von Frank Schönefeld, COO T-Systems Multimedia Solutions, an der Reihe.

Und damit der Lesestoff nicht überbordert, lege ich die Vorgabe fest: Eine Auswahl von maximal 40 Seiten!

Auf die Linked-In Kontaktanfrage mit meiner Nachricht „Ich vertiefe mich gerade in Ihr Buch“ schreibt er zurück: „… halten Sie durch :-).“ Und nach der Lektüre der ersten 120 Seiten kann ich die Ermunterung gut verstehen, denn für das Zielpublikum Unternehmenspraktiker wird es erst ab dem Kapitel 5 verständlicher und meines Erachtens wirklich lesenswert, mit gut weiteren 120 Seiten.

Mit der Vorgabe „max. 40 Seiten“ würde ich als Lektüre- und Arbeitsmaterial zu meinem „Seminar bzw. Bootcamp“ für Unternehmenspraktiker, die sich näher mit dem Einsatz von Social Software in Unternehmen befassen wollen, diese auswählen:

  • Investitionsrechnung für Soziale Software (Business Case), Kapitel 5.1.3 f., S. 126- 133 bis einschliesslich des Nutzenszenarios 1: „Effektive Meetingorganisation und Nachbereitung“, das ein Raster vorgibt und an einem Beispiel vorführt, wie man solche überschlägigen Berechnungen angehen kann. Schönefeld schreibt, das verwendete ROI-Schema orientiere sich an dem im Buch von A. Newman/J. Thomas: Enterprise 2.0  Implementation behandelten. Generische Wertversprechen sind in einer Tabelle und einer Abbildung im Anhang zusammengestellt: „Wertversprechen von Enterprise 2.0“, S. 251 f.
  • Generelle Muster, die sich aus Fallstudien ergeben (vgl. dazu auch das – in vorwiegend Deutscher Sprache gehaltene – Enterprise 2.0 Fallstudiennetzwerk www.e20cases.org) , zu den Themen „Einführungsmodelle für Enterprise 2.0″ sowie „Anwendungsfälle und Geschäftsprozesse für Enterprise 2.0″, Kapitel 6.2, S. 155 ff. – 158, vgl. auch im Anhang: „Blueprints von Enterprise 2.0, S. 253 f.“ Die Einteilungen sind als Orientierungswissen nützlich; die Zahlenangaben sind allerdings mit Vorsicht zu betrachten, da dazu selten wissenschaftlich rigoros erhobenen Datengrundlagen vorliegen. Auch bei den Fallbeispielen fehlt oft die kritische Validierung als „Good bzw. Best Practices“, denn die meisten stammen nicht aus wissenschlich fundierter „Fallstudienforschung“, und es kommen auch laufend weitere hinzu.
  • Enterprise-2.0-Projekte sind in erster Linie Organisationsentwicklungs- bzw. Change oder Transformationsprojekte; sie werden immer mit Beteiligung der IT (Informationstechnik, Informatik-Abteilung) – was nicht heissen soll IT-getrieben – umgesetzt. Für alle Projektbeteiligten ist ein Grundverständnis für die Denk- und Sprechweise der Wirtschaftsinformatik/er essentiell. Es macht deshalb Sinn, die Vier-Schichten-Architektur wie in Kapitel 7.2.3 dargestellt, S. 184-185, zu besprechen.
  • Damit die Risiken nicht vergessen gehen, stichpunktartig Aspekte der Governance (Sicherheit, Datenschutz, Corporate Identity, Compliance, Redaktionsprozess, Qualität), Kapitel 7.3.3, S. 193-194.
  • Entwicklungsdimensionen und Reifegrade des Enterprise 2.0, Kapitel 8.2, S. 208-220; diese Darstellung verdeutlicht sehr anschaulich, wie die Ausgangssituation in einem Unternehmen oder einer Organisationseinheit eingeschätzt werden kann und wie man sich die nächste(n) Entwicklungsstufe(n) konkret vorstellt. Den Lesern wird klar, dass die Einführung von Social Software in Unternehmen situationsbezogen, d.h. unternehmensindividuell, anzugehen ist und es sich um einen facettenreichen Veränderungsprozess handelt.
  • Wie man systematisch zu einem Zielzustand kommt, wird mit (Projekt-)Vorgehensmodellen beschrieben (Kapitel 9). In meinem speziellen Fall wird im Seminar die aus einem eigenen laufenden Forschungsprojekt stammende Einführungsmethode IMPACT behandelt, so dass ich für die Unterlagen meiner Teilnehmenden lediglich ergänzend die Darstellung einer fiktiven Anwendung des Vorgehensmodells Enterprise 2.0 als zu bearbeitende und zu diskutierende Fallstudie in Betracht ziehen würde. Kapitel 9.3, S. 239 – 245.

PS: Die Headergrafik ist ein Ausschnitt aus der Mentionmap vom 26. Jan. für Frank Schönefelds Twitter-Aktivität („each user is connected to the people and hashtags they mentioned most in recent tweets.“)